Singen mit allen Sinnen
„With all my soul“ lautet der Titel des Adventsprojekts und der wurde am Probewochenende um „With all of my body“ erweitert. Muskelkater vom Singen gleich am ersten Abend – Julie Lindell aus Dänemark – jetzt schon das 4. Mal zu Gast und auch diejenige, die uns im Frühjahr nach Kopenhagen eingeladen hatte – schaffte das!
Gleich am Freitagabend ging es um die Grundlagen. 7 Gospelregeln hatte sie mitgebracht, die es alle parallel anzuwenden galt. Angeleitet von Julies „magichands“ arbeiteten wir an unserem eingebauten Lautstärkeregler – variabel vom Flüsterton bis Stadionlautstärke (Regel 1: Das Krokodil), ließen für den Sound wahlweise Engel flattern oder waren 300kg schwerer (Regel 2: Hände links oben oder rechts unten), schnitten unsere Töne scharf ab oder verbanden sie zur langen Wurst (Regel 3: Currywurst), ließen die Töne für mehr Dramatik erzittern (Regel 4: Vibrato), rutschen auf ihnen die Tonleiter entlang (Regel 5: Slide) und waren wie Chinesen der Zeit voraus oder chillten eher dem Takt hinterher (Regel 6: das Timing). Die wichtigste Regel aber war Nummer 7: Wir füllten unsere Lieder mit unseren eigenen Geschichten und Gefühlen dazu – with all my soul eben.
Die Grundlagen waren also gelegt und so ging es Samstag ans gemeinsame Arbeiten mit Julie und Tom. Einmal durch das ganze Programm und vor allem ohne Luft und mit viel Twäng – die Gänse im benachbarten Schlossgarten staunten wahrscheinlich nicht schlecht ob dieser ungewohnten Rufe aus der Friedenskirche. Aber Julie und Tom versicherten uns immer wieder, dass das, was für jeden Einzelnen manches Mal wohl äußert merkwürdig klang, im Gesamten einen bombastischen Chorsound abgab. Und tatsächlich – je mehr die Techniken selbstverständlicher wurden, desto entspannter wurde das Singen.
Am Sonntagmorgen gab es dann eine erste Gelegenheit, das zuvor Gelernte umzusetzen. Zwar saßen beim regulären Sonntagmorgen-Gottesdienst mehr Sängerinnen und Sänger als Gottesdienstbesucher in den Bankreihen, aber das war für alle Beteiligten nicht das, was zählte. Was zählte war, dass wir diesen Gottesdienst mit unseren Songs lebten, dass die Kirche lebte und uns bewegte. Diese Kombination aus traditionellem evangelischem Gottesdienst, unseren Songs und Julies Beitrag war der beste Beweis dafür, dass unterschiedliches zusammen funktionieren und sich gegenseitig bereichern kann. Nachmittags ging es dann in die letzte Runde mit Julie, die uns nochmals ermutigte, genau so weiterzumachen und Grenzen zu verschieben. Diese Impulse von außen sind so wichtig und tun gut.
Und so war das ganze Wochenende eine unheimliche Bereicherung für mich. Nicht nur technisch und musikalisch, sondern grade mit der 7. Regel – sing mit deinen Gefühlen und Geschichten. Dieses „with all my soul“ hatte mich nämlich ab und an schon vor Herausforderungen gestellt. Mit meiner ganzen Seele singen – kann ich das überhaupt, wenn mich meine derzeitige Situation eigentlich eher an den Rand der Verzweiflung bringt als wirklich dankbar und froh zu sein? Wenn man nicht unbedingt davon überzeugt ist, dass das gerade auf einen selbst zutrifft, was man singt? Und dann steht man da – und plötzlich geht es doch: sich die Zweifel von der Seele singen und von ganzem Herzen merken, es passt!
Text: Kathrin Grix
Fotos: Ludmilla Parsyak