... singen ist Glückssache

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ttc | Daily Mail _Tag/Día/Day 7

Kategorien: Allgemein,ttc 2013

Logbuch:  Zwischen den Notenlinien

Als um die 500 TTC-Sänger einlaufen und mehrere Minuten lang Reihe um Reihe die Bühne der Reutlinger Stadthalle füllen, wie kurz zuvor in der Stellprobe noch geübt, ist der Zuschauerraum bis auf den letzten Platz besetzt. Das sind 1348 Besucher [und man munkelt, das sei nur die offizielle Zahl], darunter viele Familien, Freunde, Bekannte und Kollegen von Chormitgliedern und den Gemeinden.

Wer geplatzt hat, ist allerdings schnell aufgefordert, sich wieder zu erheben. Denn mit jedem Song schlägt der Chor mehr Brücken zum Publikum. Spätestens als bei einigen canciónes die Latinorhythmen pulsieren, ergreift es die Besucher ganz. Natürlich passiert hier ein Konzert, das aus ‚denen auf der Bühne‘ und ‚dem Publikum‘ aufgebaut ist. Aber die Devise der TTC-Woche bleibt das gemeinschaftliche Feiern – und „allein zu feiern wäre nicht gerade spaßig“ (so Dirigent Tom’s Ansprache). Dass dem Konzert eine Woche intensiven Austauschs vorangegangen ist, dass die gemeinsamen Proben auch eine starke Eigendynamik innerhalb der Formation erzeugt haben, zeigen besondere Momente; etwa wenn das vom Chor schon konditionierte 500-stimmige Begeisterungs-Johlen bei den drei leidenschaftlichen Solo-Parts von ‚La buena vida‘ jegliches Applaudieren aus dem Saal überstimmt. Trotzdem lassen sich die Besucher einladen, dieser Feier nicht nur als ‚Outsider‘ beizuwohnen, sondern sich selbst mit hineinnehmen zu lassen – sodass die Halle zum Ende an die 1800 Musiker zählt.

Ein Gospelkonzert – ohne in Schwärmen verfallen zu wollen – liest sich wie eine gute Erzählung: das Wichtigste passiert zwischen den Zeilen. Zwischen den Notenlinien, wenn der Groove wirklich überspringt. Und, wenn man aufmerksam beobachtet, zwischen den ordentlich aufgebauten Reihen: Es ist Schulterklopfen nach gelungenen Songs und Soli. Es ist ein schneller Griff zur Wasserflasche wegen der Verausgabung, die dieses Ganzkörpersingen bedeutet. Es ist ein Blumenstrauß, der vom Himmel fällt. Es sind Dialoge, die sich während des Singens zwischen den Sängern abspielen, wenn das Feeling der Proben wiederaufkommt… Und wenn mal ein Einsatz nicht auf den Punkt kommt, wie könnte man es dann noch anders halten als mit Andreas (s. Interview Tag 6), der überzeugt ist: „Es zählt die Freude am Singen. Und was ist es letzten Endes? Es ist doch nur Musik, keine Hirnchirurgie. Dann versingt man sich halt mal…. na und?!“

 

Im Bild: It’s high time to celebrate in Reutlingen

 

Hinter den Kulissen: Was ist eigentlich entscheidend?

Reutlingen ist über die Bühne. Erfolgreich. Tom, was meinst du?

Ich glaube, das Konzert hat erreicht, zu zeigen, was mit Stimme so geht. Hier in Deutschland. Und was mit Gospel geht. Das hat schon Kraft. Als wir mit dem Publikum gemeinsam gesungen haben, habe ich auch gemerkt: am liebsten habe ich es, wenn alles singen, zur Ehre Gottes singen.

 

Du hast dir das Dirigieren mit Jon, dem Chorleiter von Santiago Gospel geteilt. Erinnerst du dich, wie du ihn kennengelernt hast?

Das Allerwichtigste für Gospelmusik ist ja, dass du groove-mäßig sattelfest bist – und dass du keinen klassischen Groove hast. Als wir in Chile waren, waren wir eines Abends weg und ich habe gesehen, wie Jon zu Latin-Musik getanzt hat. Nicht lang, aber es hat gereicht: Das sah so groovig aus. Und ich wusste, mit ein bisschen mehr Dirigierhandwerkszeug könnte er gut einen Gospelchor leiten.

 

Dass die Gäste aus Chile viel Rhythmik mitbringen würden, war zu erwarten. Hat diese Woche, in der so verschiedene Menschen aufeinander getroffen sind, auch sonst deine Erwartungen erfüllt?

Ich plane so Sachen nicht wirklich mit großen Erwartungen. ‚Time to celebrate‘ hat sich ja aus unserem Chile-Besuch entwickelt. Dort hatten wir Lust, Land und Leute zu entdecken und zu erleben. Und man wünscht sich dann schon, dass auch hier so eine gute Stimmung und Selbstverständlichkeit dabei ist. Und ich denke, das hat bei allen geklappt. Manchmal braucht es nur eine Weile, dass man merkt, was das Fremde alles als Bereicherung bietet.

 

Trotz der unterschiedlichen Sprachen kamen zur Musik alle zusammen. Die schiere Größe des Chors war dabei immer und immer Thema. Wie steht es da ums Dirigieren? 

Ich wollte natürlich guten Chorsound machen. Es bedarf bei 500 Leuten ungeheuer viel, dass es exakt bleibt. Aber es bekommt dabei eine andere Dimension, eine große Kraft und Energie wird möglich. Als in der Friedenskirche das erste Mal ‚La buena vida‘ abging, da dachte ich, es zittert die ganze Kirche. – Ich habe im Laufe der Woche gelernt umzuschalten: Es geht eben nicht in erster Linie darum, dass die Abschläge* bei allen gleich sind und dass alle die ‚i‘s gleich singen. Das ist nicht entscheidend. Und man nähme so auch viel vom Spaß am Singen; auch wenn es natürlich nicht ganz ohne Korrektheit geht.

 

Denkst du manchmal, es könnte noch größer gehen, wenn du siehst, Stadthalle Reutlingen und Liederhalle sind schon zu klein für den Ansturm auf die Eintrittskarten?

Ich denke eher in Richtung Gospelsängerfest. Wie die Proben in der Friedenskirche; nicht so ein Vorsingen. Die Leute freuen sich ja schon auf die Konzerte, aber für mich reichen die Proben eigentlich aus. Dazu könnte man dann Besucher einladen. Denn das Miteinander-Singen gibt eine ganz andere Basis, mit der man dann auch als Chor vorn steht: nicht „jetzt kommen die Stars und stehen dann als schwarze Wand da“, sondern: „wir singen mit euch.“ Nur ans Große zu denken, fände ich darum falsch. Aber es ist auch Fakt, dass es als Gesamtpaket Leute berührt, und ich glaube, da sind wir noch nicht am Ende.

 

Was machst du in der kommenden Woche, wenn TTC zunächst am Ende ist? 

Schlafen!… Ach nee, Montag steht Baustelle auf dem Programm.

 

Sicher? Am Montag?

[lacht] … Oder am Dienstag. Und dann natürlich noch viel Auswerten von TTC. – Und Planen vom nächsten Projekt… Außerdem glaube ich, ich muss mal wieder einen Tanzkurs machen. Es hat schon Spaß gemacht, die Chilenen zu sehen, wie die mit ihrem Salsa abgehen.

 

Tom leitet die Chöre Gospel im Osten, Gospel in St. Veit und Gospel im Centrum.
Der Austausch mit den Chilenen ist nicht sein erstes „interkulturelles Projekt“.
Wie noch wenige wissen, war er schon in der 1980er Jahren Chorleiter in Gummersbach
und unternahm von dort auch Chorreisen in die ehemalige DDR.
Leute und Leben zu entdecken und zu teilen funktioniere heute wie damals als Antrieb für Musik.
Danke, Tom.

* die Notenwerte der Liedschluss-Konsonanten